Vergesellschaftung des Gesellschaftlichen

in Context
8. - 9. Dezember 2023
Auditorium, Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum, Humboldt-Universität zu Berlin Geschwister-Scholl-Straße 1/3, 10117 Berlin

Workshop mit Sabine Nuss, Christoph Sorg, Jacob Blumenfeld, Rabea Berfelde, Alex Demirović, Daniela Ruß, Isabel Feichtner, Janina Urban, Ralf Hoffrogge, Silke van Dyk, Jenny Stupka

Thema

Die Theorien der kapitalistischen Ökonomie sind von Anfang an mit dem Problem beschäftigt, Privates und Gesellschaftliches in Einklang miteinander zu bringen. Was von wem produziert wird, und was wer davon zu welchen Bedingungen bekommen kann, sind gesellschaftliche Fragen. Gesellschaftlich bestimmt ist auch wie produziert wird. In kapitalistischen Ökonomien scheinen nun aber viele der Entscheidungen in Bezug auf solche gesellschaftlichen Fragen in privater Hand zu liegen. Ökonomische Theorien wollen meist erklären, warum die Form der „ungeselligen Geselligkeit“ (Kant), die sich so ausgebildet hat, trotzdem gut funktioniert. Kampagnen zur Vergesellschaftung hingegen plädieren dafür, das Gesellschaftliche endlich wieder direkt als Gesellschaftliches zu begreifen und eine seinem Charakter angemessene Form der Bestimmung über ökonomische Frage zu finden.

Der Workshop soll hier ansetzen und fragen, welche Vorstellungen von Gesellschaft und Gesellschaftlichkeit einer solchen Forderung zugrunde liegt. Das Problem beginnt schon mit der Beobachtung, dass der Begriff „Gesellschaft“ im Gegensatz zu „Gemeinwesen“, „Gemeinschaft“ oder „Staat“ auftaucht, um die Vermittlung privater Produzent:innen zu bezeichnen. Gesellschaft meint also gerade die Verhältnisse unter Personen, die abstrakt aufeinander angewiesen sind, aber in keiner persönlichen Beziehung zueinander stehen und gerade deshalb ihre Einbindung in einen größeren Zusammenhang erfahren. Gesellschaft, wie sie im Zuge von Vergesellschaftung verwirklicht werden soll, muss deshalb Formen von Kollektivität verwirklichen, die weder in alte Gemeinschaftsmodelle zurückfallen, noch von Formen ökonomischer oder bürokratischer Macht überlagert werden, die die formal freien und gleichen Mitglieder dominieren.

Vergesellschaftung ist aus dieser Perspektive vor allem die Frage, wie eine demokratische Form der Mitbestimmung organisiert werden kann. Dabei sind sowohl Mitspracherechte als auch effektive Mitbestimmungsmöglichkeiten entscheidend. Auf der Ebene der Mitspracherechte ist die Lösung, dass alle von den Entscheidungen Betroffenen auch gleichermaßen mitentscheiden sollen nur auf den ersten Blick plausibel. Eine solche Lösung ließe noch offen, wie mit antagonistischen Interessengegensätzen zu verfahren ist und wie verhindert werden kann, dass peripher berührte Interessenlagen ein übermäßiges Gewicht bekommen. Andererseits ist aber auch klar, dass bloße Rechte, deren effektive Ausübung nicht materiell unterfüttert ist, eine Scheinlösung bleiben. Mitbestimmung zu ermöglichen, ohne die Einzelnen zu überfordern, ist daher auch eine demokratietheoretische Herausforderung.

Die Frage nach der Reichweite von Entscheidungen stellt sich aber nicht nur bei der Konkretisierung demokratischer Mitbestimmung. Das Problem, wie vergesellschaftete Ressourcen, Industrien oder Strukturen der Daseinsvorsorge ganz allgemein in größere Strukturen und insbesondere ökonomische Zusammenhänge eingebunden sind, wird auch virulent weil ökonomische Zusammenhänge nicht nur von Erfolgen bei der Vergesellschaftung beeinflusst werden, sondern auch die Perspektiven der Vergesellschaftung, aber auch nach der Vergesellschaftung bestimmen. Während Vergesellschaftungskampagnen sinnvollerweise auf konkrete Ziele, wie Bodenschätze, Schlüsselindustrien, Energieversorger oder profitorientierte Wohnbaukonzerne, gerichtet sind, gilt es in Zeiten, in denen etwa Wohnungsgenossenschaften Neubauprojekte in Ballungszentren nicht mehr finanzieren können, auch die Grenzen von ökonomischen Insellösungen zu diskutieren, die das Ergebnis einer solchen radikalen Realpolitik sind.

Weil es bei Vergesellschaftung nicht um eine abstrakte Beschwörung eines übergreifenden Gemeinsamen geht, sondern um die Verteilung materieller Ressourcen, den Zugang zu ihnen und die (gemeinsame) Verfügung über sie, ist Vergesellschaftung einerseits ein Versprechen auf solidarische Formen des Zusammenlebens. Die Kehrseite dieses Versprechens ist andererseits, dass die Ansprüche an reale Vergesellschaftungen steigen. Sie müssen nicht nur, wie Genossenschaften, einer definierten Gruppe von Menschen gerecht werden, sondern sollen die Grenzen der genossenschaftlichen Solidarität durchbrechen und offen Menschen sein, die im gesellschaftlichen Zusammenhang ausgeschlossen waren oder neu hinzugekommen sind. Wie aber lässt sich der Anspruch konkrete Infrastrukturen der Solidarität zu errichten mit der Forderung nach einer solchen Offenheit in Übereinstimmung bringen?

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Die Veranstalung wird auf Deutsch stattfinden. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.

Programm

Freitag, 8.12.

10:00–13:00   Vorstellungen von Gesellschaft in der Vergesellschaftungsdebatte

Sabine Nuss, Christoph Sorg, Jacob Blumenfeld

13:00–14:30    Mittagspause

14:30–17:30    Vergesellschaftung als demokratische Form der Mitbestimmung

Rabea Berfelde, Alex Demirović, Daniela Ruß

 

Samstag, 9.12.

10:00–13:00   Vergesellschaftung als Insellösung im ökonomischen Zusammenhang?

Isabel Feichtner, Janina Urban, Ralf Hoffrogge

13:00–14:30    Mittagspause

14:30–17:30    Die Grenzen der Solidarität durchbrechen

Silke van Dyk, Jenny Stupka

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