Eine Welt im Krisenmodus. Der Begriff der Krise hat sowohl im öffentlichen als auch wissenschaftlichen Diskurs Konjunktur. Zu einer Leitkategorie gesellschaftlicher Reflexion avanciert, dient er der Beschreibung und Bewertung bestimmter disruptiver Entwicklungen und Dynamiken moderner Gesellschaften. Augenscheinlich ist dabei, dass sich gegenwärtig nicht nur die Krisendiagnosen mehren. Ebenso ist eine Tendenz zu beobachten, ganz unterschiedliche Phänomene und Bedeutungen mit dem Begriff zu verbinden wie auch Krisen als einen Dauer- und Normalzustand zu interpretieren. Welche spezifisch analytisch-normative Aussagekraft hat also der Krisenbegriff? Wie kann er sinnvoll verwendet und geschärft werden, um gegenwärtige Krisen nicht zu verharmlosen, sondern ihre spezifische Dynamik besser sichtbar zu machen und zu verstehen?
Insbesondere die marxistisch-materialistische Tradition hat ein anspruchsvolles Verständnis von Krise geprägt. Krisen werden als das Resultat von zugespitzten Problemlagen und Widersprüchen sozialer Verhältnisse und ihres gesellschaftlichen Gesamtzusammenhangs betrachtet. Darin haben Krisen sowohl eine objektive als auch eine subjektive Seite: Sie sind Bestandteil der sozialen Wirklichkeit und ihrer Transformationen, zugleich ist ihre spezifische Entwicklung und Dynamik davon abhängig, ob und wie Krisen wahrgenommen, interpretiert und bewältigt werden. Alex Demirovic argumentiert hieran anschließend für ein Verständnis von multipler oder Vielfachkrise. Als ein umfassendes gesellschaftliches Phänomen im neoliberalen Finanzmarktkapitalismus seien Krisen nicht nur auf den Bereich der Ökonomie zu beschränken. Ein nicht-verkürzter Krisenbegriff erfordere vor allem die Querverbindungen und unterschiedlichen Wirkungszusammenhänge der Krisenprozesse zu analysieren wie auch die herrschaftsförmigen selektiven Krisenbewältigungen als Faktor der Krise selbst in den Blick zu nehmen.
Hier findet sich eine Datei der Einleitung des Buches VielfachKrise, das Alex Demirovic 2011 mit herausgegeben hat.