Von #hatespeech über #fakenews, Reichsbürgertum und Rechtspopulismus bis hin zum US- Präsidenten – die Weltlage scheint so sehr aus den Fugen geraten, dass sich kaum eine Debatte ihrem Sog entziehen kann. Dass zur Erklärung dieser Phänomene mehrere Ebenen der Analyse ineinandergreifen müssten, ist weitgehend unbestritten: Milieu und Herkunftsgeschichte der Beteiligten, die Struktur der Öffentlichkeit sowie Affektmuster und Urteilsformen dürften – neben vielen anderen Aspekten – eine Rolle spielen.
Mit der Theorie des autoritären Charakters beziehungsweise der autoritären Persönlichkeit ist, ausgehend von Arbeiten des Instituts für Sozialforschung und der University of California in den 1930er und 1940er Jahren, ein bis heute einflussreiches Paradigma entwickelt worden, um diese Dimensionen miteinander in Verbindung zu bringen. Umso mehr muss die Beobachtung irritieren, dass es gegenwärtig eher am Rand als im Zentrum des Diskurses zu operieren scheint.
Trifft diese Wahrnehmung überhaupt zu? Wenn ja: Welche Gründe kämen dafür in Betracht? Sind beispielsweise die tiefenpsychologischen Zutaten des Theoriestrangs aktualisierungsbedürftig bzw. aktualisierbar? Formen die Sozialisationsbedingungen von heute Subjekte, an denen das Konzept des autoritären Charakters vorbei geht? Was lässt sich andererseits möglicherweise nur (oder besonders überzeugend) unter Rückgriff auf Theorien an der Schnittstelle von Soziologie, Psychologie und Philosophie zeigen? Kurzum: Wie aktuell ist die Theorie des autoritären Charakters?
Diese und verwandte Fragen wurden im Rahmen der Reihe „in Context“ des Lehrstuhls für Praktische Philosophie und Sozialphilosophie der Humboldt-Universität zu Berlin am 8. Februar von und mit Oliver Decker (Leipzig), Jan Weyand (Erlangen) sowie Eva-Maria Ziege (Bayreuth) in der „Vierten Welt“ diskutiert. Die Veranstaltung wurde organsiert von Selana Tzschiesche und Jan-Philipp Kruse.
Zur Vorbereitung der Veranstaltung wurde der hier frei zugängliche Aufsatz von Peter Gordon zur Aktualität der Theorie des autoritären Charakters empfohlen.