Whose City? Urban Struggles in the Age of Gentrification

in Context
März 31, 2021 16:00 - 18:00
live



00:00 Introduction

04:24 Gentrification as Strategy of Neoliberal Urbanism

09:49 Current Cities: Places of Diversity or Inequality?

15:24 The Divide Between Squatter’s and Tenant’s movements

22:50 Lessons learnt from Homeless Migrant Workers

25:09 The Politics of Urban Rioting

32:13 Components of the Urban Political

37:30 The Need for Organized Social Movements

42:45 Prospects of Urban Protest

47:49 Alliances for Just Housing?

 

Whose City? Urban Struggles in the Age of Gentrification

with Lisa Vollmer, Mustafa Dikeç, Christian Volk and Robin Celikates

 

Gentrification and neoliberalization have shaped the cities we live in but also given rise to urban struggles, from uprisings to social movements advocating for rent control and tenants‘ rights. What are the dynamics shaping the city as both a field and object of social and political protests and movements? What possibilities and limitations characterize the various forms of urban struggle, and to what extent are they able to create concrete alternatives and to transform urban politics? And how can urban struggles overcome the many cleavages that characterize the modern city and develop counterstrategies to neoliberal individualization and state repression?

Lisa Vollmer is a researcher and lecturer at the Institute for European Urban Studies at Bauhaus-Universität Weimar and a member of the Berlin-based political initiative Stadt von unten/City from Below.  Her research interests include urban social movements, gentrification and housing. Among her recent publications is Strategien gegen Gentrifizierung (Schmetterling, 2018).

Mustafa Dikeç is Professor of Urban Studies at the École d’urbanisme de Paris (EUP) and researcher at Malmö University. His work is located at the intersection of space and politics, urban uprisings, and temporal urban infrastructures. His most recent book is Urban Rage: The Revolt of the Excluded (Yale University Press, 2017).

 

Q&A

 




00:00:08 What are the historical beginnings of gentrification?

00:02:12 Is the movement for the decommofication of housing a way out of the dead ends of the squatter’s movement by fighting again for those in dire straits?

00:06:27 Is there something to distinguish emancipatory and non-emancipatory uprisings if riots are always political and have liberating effects?

00:07:38 How to decommodify land and housing?

 

 

 

Kommentar zur Online-Diskussion „Whose City? Urban Struggles in the Age of Gentrification“ 

von Victor Kempf

 

WIE GELINGT DIE „DEMONSTRATION DER GLEICHHEIT“?

 

„Die Stadt“ wird gerne als Sinnbild der Demokratie aufgerufen. Von ihr geht das Versprechen aus, jenseits provinzieller Zugehörigkeiten und anderer Partikularismen an einer inklusiven Gemeinschaft unter prinzipiell Gleichen teilzuhaben. Die reale Stadt ist aber immer auch durch etliche Stratifizierungen und Ausschlüsse gekennzeichnet. Dahinter stehen Prozesse der Verdrängung und der Abschottung, die im Neoliberalismus mit erneuter Deutlichkeit hervortreten und zumeist unter dem Begriff der „Gentrifizierung“ verhandelt werden. Obwohl dieser Begriff in aller Munde ist, bleibt oft unklar, was darunter genauer zu verstehen ist. Damit zusammenhängend ist umstritten, welche Form des Widerstands angemessen, das heißt: radikal und durchschlagend genug ist, um gegen diese Tendenz wirklich anzukommen. Zwar gibt es durchaus weitreichende Ansätze, wie etwa die Berliner Initiative „Deutsche Wohnen enteignen“. Doch erscheinen auch solche Projekte in der Regel isoliert und einseitig, so lange sie nicht in einen umfassenderen gesellschaftlichen und politischen Zusammenhang gerückt werden.

Solche offenen Fragen zu diskutieren, war das Ziel der In-context-Diskussion „Whose City? Urban Struggles in the Age of Gentrification“, in dem Lisa Volmer und Mustafa Dikeç ihre unterschiedlichen Blickwinkel auf die eben aufgeworfenen Themen und Fragen abglichen und konstruktiv miteinander verbanden. Im Folgenden sollen die inhaltlichen Kerneinsichten des von Robin Celikates und Christian Volk moderierten Gespräches gebündelt und weitergedacht werden.

Gleich zu Beginn räumt Lisa Vollmer mit einem typischen kulturalistischen Missverständnis auf: Gentrifizierung äußert sich zwar lebensweltlich durch die Ausbreitung gewisser distinguierter Lebensstile, lässt sich aber auf dieser „persönlichen“ Ebene nicht sinnvoll bekämpfen, weil strukturell verankerte Dynamiken kapitalistischer Akkumulation die Grundursache dieser Oberflächenphänomene sind. Auch Dikeç stimmt mit der gesellschaftstheoretischen Diagnose überein, dass Gentrifizierung in erster Linie der wiederkehrende Ausdruck einer durch und durch kapitalistischen Stadt ist, die Teilhabe – unabhängig von den Intentionen „fieser Spekulanten“ oder distinktionswütiger „Hipster“ – marktförmig organisiert und so an die Exklusion erzeugenden Bedingungen von Eigentum und Leistung knüpft. Dikeç und Vollmer weisen aber zurecht auch auf die normative Tiefendimension der kapitalistischen Exklusion hin: Die in die Vororte Verdrängten erleiden nicht nur einen ökonomischen Ausschluss, sondern werden zugleich als der Stadt und ihrer sozialen Standards Unwürdige auf ihren „richtigen Platz“ verwiesen. Sich „die Wohnung nicht leisten zu können“ hat im hegemonialen Framing nicht selten auch damit zu tun, „nicht zu passen“, nicht als jemand zu gelten, der „Anteil“ hat an den konstitutiven Tugenden und Eigenschaften der innerstädtischen Gemeinschaft.

Im Anschluss an die radikaldemokratische Perspektive Jaques Rancières heißt das für Dikeç: Die derart Anteillosen können sich auf das liberaldemokratische Versprechen der Stadt gar nicht berufen, denn die hegemonialen Vorstellungen von Inklusivität und „social mixing“ sind selbst bereits systematisch verzerrt. Die Diversität, die sich die Metropolen stolz auf die Fahnen schreiben, ist nicht nur sozioökonomisch gefiltert, sondern schon ihrer Idee nach exklusiv: Die diverse Gemeinschaft der Stadt, so kann man Dikeçs Kritik des liberaldemokratischen Versprechens weiterdenken, ist an die Voraussetzung der Zahlungsfähigkeit, der Verfügung über entsprechendes Einkommen oder Kapital, samt der kulturellen Korrelate dieses Vermögens gebunden. Die Stadt verspricht eine zumindest relative Gleichheit der ebenbürtigen Kommunikation und der gemeinsamen Erfahrung nur für all jene, die sich für diese Gleichheit qualifizieren. Gentrifizierung und der demokratische Anspruch der Stadt gehen prinzipiell zusammen, solange das maßgebende Modell demokratischer Gleichheit selbst meritokratisch überformt ist.

Bei aller Unterschiedlichkeit ihrer politischen und theoretischen Ansätze eint Vollmer und Dikeç folgende Problemstellung: Kämpfe gegen Gentrifizierung und um die Stadt sind immer mit einer bürgerlichen Sicht konfrontiert, die ökonomisch unter Druck stehenden Mieterinnenmilieus durch ethische Diskurse – beispielsweise der Verantwortung und der kulturellen Lebensführung – abspricht, sich überhaupt zur Gleichheit jener zu qualifizieren, die die Stadt ihr eigen nennen, weil sie sich einen Anteil an ihr verdient hätten. Folglich muss es in diesen Kämpfen zuvorderst darum gehen, die bürgerliche Sicht durch eine „Demonstration der Gleichheit“ (Rancière) von Seiten der dazu vermeintlich Disqualifizierten praktisch zu negieren. Doch wie soll das gehen? Wodurch widerlegt der „überzählige“, „säumige“, und tendenziell „schmutzige Mieter“ – ob es sich nun um den „Klein-Gangster“ aus der Banlieu oder um den ökonomisch nur mangelhaften „Performer“ in der City handelt – das meritokratische Urteil seiner Inferiorität, das ihn aus der Mitverfügung über den gesellschaftliche Reichtum schon normativ ausschließt?

Dikeç schlägt in diesem Zusammenhang vor, urbane Riots als disruptive Ereignisse zu deuten, denen ein potentiell egalitäres Moment innewohnt. In den Praktiken des Riots entreißen sich die marginalisierten und geschmähten Jugendlichen der Banlieu ihrer Vereinzelung und Stillstellung und bringen sich als politische Wesen zur Geltung, die fähig sind, Widerspruch und Widerstand zu erzeugen, deren Stimmen und Interessen also zählen. Riots sind mit Gewalt und insbesondere mit der Zerstörung von Eigentum verbunden. Doch, so Dikeç, die zerbrochenen Schaufensterscheiben referieren selbst auf das tieferliegende Unrecht des Ausschlusses aus der urbanen Ordnung des Eigentums, das als solches in der egalitären Praxis des Riots sichtbar wird.

Unklar bleibt indes, wodurch den Riots eine „Demonstration der Gleichheit“ gelingt. Wodurch sind sie imstande, die bürgerlich verengten Normen der Teilhabe und des Mitredens in actu ihrer Unwahrheit zu überführen und dadurch einen gesamtgesellschaftlichen Reflexionsprozess anzustoßen? Dikeç fokussiert sich hier auf den egalitären Inhalt der Riots. Aber bevor dieser egalitäre Inhalt überhaupt auf politische Anerkennung stoßen kann, müssen die, die ihn kommunizieren, sich selbst als kommunizierende Subjekte in Szene setzen, die an der öffentlichen Verhandlung über das Allgemeine ungefragt und sozusagen anmaßend aber dennoch kompetent teilnehmen. Wenn der Riot nicht zum erneuten Beweis subalterner Unwürdigkeit werden soll, muss er sich in eine politische Bühne verwandeln, auf der die Ausgeschlossenen ihre Gleichwertigkeit und damit ihren Anspruch auf Teilhabe durch ihre Fähigkeit zum Diskurs offenbaren und so die hegemoniale Stereotype blamieren. Dieser Aspekt wird von Dikeç zwar angerissen, aber nicht als die erste große und entscheidende politische Herausforderung des Kampfes gegen Gentrifizierung zentriert.

Die „Demonstration der Gleichheit“ ist aber mit der Errichtung einer politischen Bühne noch nicht abgeschlossen. Sie muss sich weiter vertiefen und gewissermaßen mit Substanz anreichern. In dieser Linie betont Vollmer die Notwendigkeit einer Institutionalisierung des Kampfes gegen Gentrifizierung: Durch Prozesse der „Erfahrungsvergemeinschaftung“ muss der politische Protest gegen die kapitalistische Stadt in eine beständigere soziale Bewegung transformiert werden. Soziale Bewegungen und ihre entsprechenden zivilgesellschaftlichen Organisationsstrukturen erweisen sich als Zusammenhänge, in denen alternative Formen der Aushandlung, Teilhabe und Mitbestimmung praktisch erprobt und unter Beweis gestellt werden können. In ihnen wächst potentiell ein anderer und vor allem inklusiverer Demos heran, ein postkapitalistisches politisches Subjekt, das nicht nur diskursiv proklamiert wird, sondern auch in konkreten Strukturen der solidarischen Kooperation gewissermaßen materiell verankert ist. Hier geht es um kiezbezogene Formen der Beratschlagung und des kollektiven Widerstands, um stetigere Allianzen und Austauschbeziehungen zwischen den lokalen Projekten, aber auch um die konkrete Aneignung von Wohnraum durch Hausbesetzungen. Die linksradikale Praxis des Squatting behält also weiterhin ihre Berechtigung, muss aber, wie Vollmer zurecht hervorhebt, vom Paradigma der „Künstlerkritik“ gelöst werden. Es kann nicht länger darum gehen, spezielle „Freiräume“ für partikulare Identitäten zu schaffen. Die Herausforderung für gegenwärtige Mieter_innenbewegungen besteht vielmehr darin, die Stadt als inklusiven Ort der Demokratie und der universellen Teilhabe zu etablieren.

Die „Demonstration der Gleichheit“ bedarf also einer praktischen, institutionellen und somit auch materiellen Komponente. Dies führt weiter auf die allgemeine Frage des Verhältnisses zwischen Wohnen und Arbeiten. Die hier entfaltete radikaldemokratische Sicht schaut stets auf die politische Hervorbringung eines inklusiveren Universalismus von Seiten der „Anteillosen“. Aber die „Anteillosen“ sind eben nicht mit den Armen, Schwachen und „Nutzlosen“ zu verwechseln. Bei Rancière sind sie aus der politischen Mitbestimmung über das Gemeinsame ausgeschlossen, weil es ihnen an formaler Bildung oder an der nötigen ökonomischen Solidität mangelt, die aus bürgerlicher Sicht Kompetenz, Verantwortungsbewusstsein und Respektabilität anzeigt. Doch die Anteillosen haben trotzdem Teil an der sozialen Produktion und Reproduktion, auch wenn dieser Anteil aus jener bürgerlichen Sicht ignoriert, verkannt oder heruntergespielt wird. Die aus der Verfügung über die Stadt und ihre Wohnverhältnisse Ausgeschlossenen sind nicht überzählig, keine Anhängsel, die bloß etwas wollen. Sie sind es, die die Stadt und ihren Reichtum hervorbringen. Sie sind es, die durch ihr tagtägliches Tun, durch ihren Einsatz, ihre Kreativität und ihre Sorge füreinander die Stadt als sozialen Verdichtungsraum der Erfahrung und des kulturellen Austausches überhaupt erst möglich machen. Es ist ihre Stadt, sie haben sie, wenn auch zumeist in einem übertragenen Sinne, gebaut – und nicht die Vermieter_innen, denen die Stadt qua bürgerlicher Eigentumsordnung bloß in die Hände gefallen ist.

Der Kampf gegen Gentrifizierung lässt sich also materialistisch fundieren. Allerdings muss der Begriff der Arbeit, der hier politisch zum Tragen kommt, so gefasst sein, dass er der angestrebten „Demonstration der Gleichheit“ nicht zuwiderläuft. Er darf nicht auf die hochqualifizierten Leistungsbeiträge der Mittelschichten, aber auch nicht auf Lohnarbeit im Allgemeinen verengt werden. Solche Verengungen lassen sich heute wieder beobachten: Die Mittelschichten werden als qualifizierte Subjekte der demokratischen Stadtgemeinschaft anerkannt, ihre Sorgen und Nöte finden erneut Gehör, während andere von Gentrifizierung betroffene Sozialschichten aus dem Blick bleiben, weil das, was sie tun, was sie zur Stadt beitragen, keine Anerkennung findet, sogar verlacht und verspottet wird. Erst ein umfassender Begriff von Arbeit, der ganz generell die praktische Herstellung und Belebung sozialer Welten und Beziehungen bezeichnet und sich sowohl von produktivistischen Verengungen als auch von marktförmigen Leistungsmaßstäben löst, kann einer radikalen Demokratisierung der Stadt als Basis dienen.

 

 

 

 

 

Whose City? Urban Struggles in the Age of Gentrification