Der Philosoph und Experte für African American Studies Tommie Shelby von der Harvard Universität hat 2025 den Benjamin Chair des Centre for Social Critique inne. Vom 18. bis 20. Juni 2025 entwirft Shelby in seinen Benjamin Lectures eine Politische Ethik der Unterdrückten.
Topic
Vielleicht ist der wichtigste Beitrag, den die Tradition des Schwarzen radikalen Denkens zur Sozial- und zur politischen Philosophie geleistet hat, dass sie eine spezifische Ethik der Unterdrückten ausbuchstabiert und verteidigt hat. Den bedeutendsten Denker:innen dieser Tradition – beispielsweise Frederick Douglass, W.E.B. Du Bois, Ida B. Wells und Martin Luther King, Jr. – ging es zweifellos darum, die tiefgreifendsten gesellschaftlichen Übel zu diagnostizieren, wirksame Befreiungsstrategien zu finden und der Vision einer gerechten und friedlichen Welt Ausdruck zu verleihen. Aber es ging ihnen auch darum zu verstehen, wie unter den Bedingungen fortwährender Unterdrückung ein vertretbares und würdevolles Leben gelebt werden kann. Da die vollständige Emanzipation ein langfristiges und unsicheres Ziel ist, das (wenn überhaupt) nur nach vielen Generationen erreicht werden kann, wurde ihnen klar, dass es darauf ankam, Werte und Charaktereigenschaften zu bestimmen, die sich Schwarze Menschen und andere unterdrückte Gruppen zu eigen machen müssen, wenn sie nicht bloß überleben und ihre Freiheit erringen, sondern in ihrem Leben, das so grundlegend von Ungerechtigkeit geprägt ist, auch einen Sinn und Zweck finden wollen.
Für ihre Untersuchung der politischen Ethik der Unterdrückten stützen sich die Vorträge auf die philosophische Belletristik und die literarischen Sachbücher von Richard Wright (1908–1960). Wright ist eine Schlüsselfigur der Tradition des Schwarzen radikalen Denkens und ein einflussreicher amerikanischer Denker und Autor. Immer wieder reflektiert er in seinen Schriften die Forderungen nach Solidarität und Selbstachtung – zwei zentrale Werte jeder vertretbaren politischen Widerstandsethik. Doch diesen Werten die Treue zu halten, erfordert von den Unterdrückten häufig Opfer. Im Kern ist die Frage der Vorträge deshalb: Welchen Platz hat individuelle Freiheit – einschließlich geistiger Unabhängigkeit, Individualität, Meinungsfreiheit und dem Streben nach Selbstverwirklichung – in der politischen Ethik der Unterdrückten?
Tommie Shelby
Tommie Shelby ist Lee Simpkins Family Professor of Arts and Sciences und Caldwell Titcomb Professor an den Instituten für African and African American Studies und Philosophie der Harvard Universität. Er ist Autor vieldiskutierter und preisgekrönter Bücher, die es für eine breite Öffentlichkeit in Deutschland zu entdecken gilt. In seinen Werken verbinden sich grundsätzliche philosophische Fragen nach Zugehörigkeit, Solidarität und den Möglichkeiten, rassistische Verhältnisse zu überwinden, mit einer genauen Kenntnis des Schwarzen radikalen Denkens. Shelbys beeindruckende Analysen zeichnen sich durch ihre Ernsthaftigkeit und Systematik aus. Sie antworten auf Herausforderungen, vor denen radikale Ansätze des Kampfes gegen Unterdrückung standen und stehen. Dabei hat Shelby die Individuen – ihre ethischen Verpflichtungen und politischen Möglichkeiten – genauso im Blick wie die Notwendigkeit, sich gemeinsam solidarisch zu organisieren. In diesen Spannungsverhältnissen gibt es keine einfachen Lösungen, aber im Dialog mit der Tradition des Schwarzen radikalen Denkens entstehen für gegenwärtige Debatten wichtige Einsichten. Shelby schärft unseren Blick auf die Gegenwart und eröffnet immer wieder überraschende Perspektiven für deren Transformation.
Von Tommie Shelby sind in englischer Sprache unter anderem die Bücher The Idea of Prison Abolition (Princeton University Press 2022), Dark Ghettos: Injustice, Dissent, and Reform (Harvard University Press 2016) und We Who Are Dark: The Philosophical Foundations of Black Solidarity (Harvard University Press 2005) sowie der Sammelband Hip Hop and Philosophy (Open Court, 2005) erschienen.
Werden die Benjamin Lectures aufgenommen oder live übertragen?
Die Lectures werden aufgenommen und anschließend auf unserem YouTube-Kanal und dieser Website veröffentlicht. Es gibt keine Liveübertragung.
Ist eine Anmeldung nötig, um die Lectures zu besuchen?
Der Eintritt ist frei und eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Die Anzahl der Plätze im Miriam-Makeba-Auditorium ist auf 950 begrenzt.
Auf welcher Sprache werden die Lectures gehalten? Wird eine Simultanübersetzung angeboten?
Die Lectures werden auf Englisch gehalten. Es wird eine Simultanübersetzung geben.
Ist der Veranstaltungsort barrierefrei?
Im Miriam-Makeba-Auditorium gibt es einige Plätze für Rollstuhlfahrer:innen, wir bitten diese daher sich unter philohsc(at)hu-berlin.de anzumelden.
Können auch einzelne Lectures besucht werden?
Die Lectures bauen aufeinander auf. Trotzdem kann jede Lecture auch ohne die jeweils anderen besucht werden.