Der Philosoph und Experte für African American Studies Tommie Shelby von der Harvard Universität hat 2025 den Benjamin Chair des Centre for Social Critique inne. Vom 18. bis 20. Juni 2025 entwirft Shelby in seinen Benjamin Lectures eine Politische Ethik der Unterdrückten.
Topic
Vielleicht ist der wichtigste Beitrag, den die Tradition des Schwarzen radikalen Denkens zur Sozial- und zur politischen Philosophie geleistet hat, dass sie eine spezifische Ethik der Unterdrückten ausbuchstabiert und verteidigt hat. Den bedeutendsten Denker:innen dieser Tradition – beispielsweise Frederick Douglass, W.E.B. Du Bois, Ida B. Wells und Martin Luther King, Jr. – ging es zweifellos darum, die tiefgreifendsten gesellschaftlichen Übel zu diagnostizieren, wirksame Befreiungsstrategien zu finden und der Vision einer gerechten und friedlichen Welt Ausdruck zu verleihen. Aber es ging ihnen auch darum zu verstehen, wie unter den Bedingungen fortwährender Unterdrückung ein vertretbares und würdevolles Leben gelebt werden kann. Da die vollständige Emanzipation ein langfristiges und unsicheres Ziel ist, das (wenn überhaupt) nur nach vielen Generationen erreicht werden kann, wurde ihnen klar, dass es darauf ankam, Werte und Charaktereigenschaften zu bestimmen, die sich Schwarze Menschen und andere unterdrückte Gruppen zu eigen machen müssen, wenn sie nicht bloß überleben und ihre Freiheit erringen, sondern in ihrem Leben, das so grundlegend von Ungerechtigkeit geprägt ist, auch einen Sinn und Zweck finden wollen.
Für ihre Untersuchung der politischen Ethik der Unterdrückten stützen sich die Vorträge auf die philosophische Belletristik und die literarischen Sachbücher von Richard Wright (1908–1960). Wright ist eine Schlüsselfigur der Tradition des Schwarzen radikalen Denkens und ein einflussreicher amerikanischer Denker und Autor. Immer wieder reflektiert er in seinen Schriften die Forderungen nach Solidarität und Selbstachtung – zwei zentrale Werte jeder vertretbaren politischen Widerstandsethik. Doch diesen Werten die Treue zu halten, erfordert von den Unterdrückten häufig Opfer. Im Kern ist die Frage der Vorträge deshalb: Welchen Platz hat individuelle Freiheit – einschließlich geistiger Unabhängigkeit, Individualität, Meinungsfreiheit und dem Streben nach Selbstverwirklichung – in der politischen Ethik der Unterdrückten?
Programm
Mittwoch, 18.06. – Rasse und Klasse in der politischen Ethik der Unterdrückten
Diese einleitende Vorlesung dient dazu, die folgende Argumentation vorzubereiten. Sie verfolgt drei Hauptziele: Erstens etabliert sie die Idee einer politischen Ethik der Unterdrückten und klärt, wo sie innerhalb der Philosophie zu verorten ist. Zweitens erläutert sie das Verständnis, das die Black Radical Tradition von einer Unterdrückung hat, die auf Rasse und Klasse beruht. Sie stützt sich dafür auf die Schriften von Richard Wright. Und drittens eröffnet sie ein allgemeines Verständnis der Solidarität unter Unterdrückten und macht die Rolle deutlich, die eine solche Solidarität für gerechte politische Anliegen spielt.
Donnerstag, 19.06. – Solidarität, Politik und Intellekt
Die zweite Vorlesung untersucht, welche Rolle Intellektuelle spielen sollten, wenn die unterdrückte Gruppe, der sie selbst angehören, um Befreiung kämpft. Sie bezieht sich auf W. E. B. Du Bois und Richard Wright und fragt, ob Intellektuelle ihr Interesse an Kunst und Geist dem politischen Widerstand gegen Ungerechtigkeit unterordnen sollten. Sie untersucht auch die tiefsitzende Spannung, die zwischen den spezifischen Neigungen der Intellektuellen und den Forderungen politischer Solidarität besteht. Die Frage ist dabei, wie (wenn überhaupt) diese Spannung gelöst oder vermindert werden kann.
Freitag, 20.06. – Respekt vor sich selbst und der Eigenwert von Protest
Die dritte und letzte Vorlesung befragt kritisch die Bedeutung, die der Respekt, den man sich selbst schuldet, für eine politische Ethik der Unterdrückten hat. Das geschieht nicht zuletzt im Hinblick auf Solidarität und öffentlichen Protest. Manchmal sind angesichts einer ungerechten Behandlung risikoreiche Akte des Widerstands erforderlich – selbst wenn absehbar ist, das eine derartige Rebellion die gesellschaftlichen Bedingungen nicht verbessern wird und zudem persönliche Konsequenzen nach sich zieht. Die Vorlesung stützt sich auf Einsichten Richard Wrights, um zu erläutern, warum solche Risiken manchmal trotzdem unvermeidlich sind, wenn es nicht nur gilt, die eigene Würde zu wahren, sondern auch die Neigung zu bekämpfen, sich der Ungerechtigkeit zu ergeben.
Tommie Shelby
Tommie Shelby ist Lee Simpkins Family Professor of Arts and Sciences und Caldwell Titcomb Professor an den Instituten für African and African American Studies und Philosophie der Harvard Universität. Er ist Autor vieldiskutierter und preisgekrönter Bücher, die es für eine breite Öffentlichkeit in Deutschland zu entdecken gilt. In seinen Werken verbinden sich grundsätzliche philosophische Fragen nach Zugehörigkeit, Solidarität und den Möglichkeiten, rassistische Verhältnisse zu überwinden, mit einer genauen Kenntnis des Schwarzen radikalen Denkens. Shelbys beeindruckenden Analysen zeichnen sich durch ihre Ernsthaftigkeit und Systematik aus. Sie antworten auf Herausforderungen, vor denen radikale Ansätze des Kampfes gegen Unterdrückung standen und stehen. Dabei hat Shelby die ethischen Verpflichtungen und politischen Möglichkeiten von Individuen genauso im Blick wie die Notwendigkeit, sich gemeinsam solidarisch zu organisieren. In diesen Spannungsverhältnissen gibt es keine einfachen Lösungen, aber im Dialog mit der Tradition des Schwarzen radikalen Denkens entstehen für gegenwärtige Debatten wichtige Einsichten. Shelby schärft unseren Blick auf die Gegenwart und eröffnet überraschende Perspektiven für deren Transformation.
Von Tommie Shelby sind in englischer Sprache unter anderem die Bücher The Idea of Prison Abolition (Princeton University Press 2022), Dark Ghettos: Injustice, Dissent, and Reform (Harvard University Press 2016) und We Who Are Dark: The Philosophical Foundations of Black Solidarity (Harvard University Press 2005) sowie der Sammelband Hip Hop and Philosophy (Open Court, 2005) erschienen.
Werden die Benjamin Lectures aufgenommen oder live übertragen?
Die Lectures werden aufgenommen und anschließend auf unserem YouTube-Kanal und dieser Website veröffentlicht. Es gibt keine Liveübertragung.
Ist eine Anmeldung nötig, um die Lectures zu besuchen?
Der Eintritt ist frei und eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Die Anzahl der Plätze im Miriam-Makeba-Auditorium ist auf 950 begrenzt.
Auf welcher Sprache werden die Lectures gehalten? Wird eine Simultanübersetzung angeboten?
Die Lectures werden auf Englisch gehalten. Es wird eine Simultanübersetzung geben.
Ist der Veranstaltungsort barrierefrei?
Im Miriam-Makeba-Auditorium gibt es einige Plätze für Rollstuhlfahrer:innen, wir bitten diese daher sich unter philohsc(at)hu-berlin.de anzumelden.
Können auch einzelne Lectures besucht werden?
Die Lectures bauen aufeinander auf. Trotzdem kann jede Lecture auch ohne die jeweils anderen besucht werden.
„Der Fokus auf Schwarze Menschen ist wirklich hilfreich …“
Tommie Shelby über seinen Weg in die Philosophie und die Vorteile einer Verbindung von Liberalismus, analytischem Marxismus und der Tradition radikalen Schwarzen Denkens
Interview mit T.Shelby als pdf
Tommie Shelby ist 2025 Benjamin Chair am Centre for Social Critique. Seine Walter Benjamin Lectures werden das Thema „Die politische Ethik der Unterdrückten – Freiheit, Solidarität und Selbstachtung“ behandeln. Die Direktor:innen des Centres, Rahel Jaeggi und Robin Celikates, trafen Tommie Shelby, um ihn nach seiner Herangehensweise in der Ethik, der Philosophie, der Tradition des radikalen Schwarzen Denkens und nach seinen Plänen für die Benjamin Lectures zu fragen.
Rahel Jaeggi: Tommie, erzähl uns, wie du zum Philosophen wurdest und was Philosophie für dich bedeutet!
Tommie Shelby: Ich begann als Studienanfänger an der Florida A&M University mich für Philosophie zu interessieren. Ich bin das, was man einen Studenten der ersten Generation nennt und war bei meinem Studium sehr praxisorientiert. Ich ging zur School of Business and Industry mit der Absicht, einen praxisorientierten Abschluss zu erwerben und dann zu versuchen, damit zu Geld zu kommen. Aber viel von dem, was ich studieren musste, langweilte mich und ich dachte nur: „Das wird ein echt hartes Leben dieses langweilige Zeug zu machen, nur um Geld zu verdienen.“ Und da entschied ich mich, mich meiner College Bildung gegenüber zu öffnen und alles zu studieren, was mich interessierte. Ich dachte mir, allein der Abschluss werde mir schon weiterhelfen. Also machte ich mir keine Gedanken mehr darüber, was ich da eigentlich studierte. Ich studierte also alles Mögliche: Soziologie, Religion und viele andere Fächer. Dadurch kam ich zur Philosophie. Eines der ersten Seminare, die ich in Philosophie belegte, war ein Kurs über Politische Philosophie. Es war ein sehr traditionelles Seminar zur Geschichte der modernen Politischen Philosophie. Wir lasen Machiavelli, Hobbes, Rousseau, Marx, Mill, Locke, … solche Leute. Der Kurs begeisterte mich.
Ich glaube, diese Einführung in die kanonischen Vertreter der Politischen Philosophie und in das, was sie tun, prägte im Großen und Ganzen schon früh die Art und Weise wie ich politische Fragen aus einem philosophischen Blickwinkel betrachte. Sie reden – wie Philosophen das gern tun – in sehr allgemeinen Ausdrücken, aber sprechen dabei klarerweise über ihre eigene Zeit und ihre eigene Situation, selbst wenn sie allgemeine Behauptungen darüber aufstellen, was Gerechtigkeit ist, was den Staat legitimiert oder dergleichen mehr. Das hat auch mich geprägt. Ich spreche sehr viel über das, womit wir es konkret zu tun haben – selbst wenn ich versuche, allgemeinere Aspekte unseres Denkens, Fragen der Gerechtigkeit und insbesondere Fragen von racial justice, ökonomischer Gerechtigkeit, Gerechtigkeit im Strafrecht und deren Wechselwirkungen, zu beleuchten. Diese Fragen beschäftigen mich seit vielen Jahren.
Es gibt jede Menge politischer Anliegen, die sich lohnen und andere, die sich nicht so lohnen. Die Rolle von Philosoph:innen kann darin bestehen, deutlich zu machen: Was sind die gerechtfertigten Ziele eines solchen Anliegens? Inwiefern wirkt es sich günstig auf die Anliegen Gerechtigkeit oder Frieden aus? Philosoph:innen können dazu mit den Menschen in Dialog treten, die versuchen, verschiedene Anliegen zu verfolgen. Sie können sich ihnen mitunter aber auch widersetzen. Ich spreche meistens über allgemeine Prinzipien statt über eine konkrete Strategie oder Taktiken. Aber dabei geht es immer darum, jene allgemeinen Prinzipien zu bestimmen, die soziale Bewegungen und Anliegen leiten sollten.
Robin Celikates: Die Auseinandersetzung mit der sogenannten Africana-Philosophie und der Tradition des Schwarzen radikalen Denkens (Black Radical Tradition) war für deine eigene Arbeit in all den Jahren ziemlich wichtig. In dieser Tradition wird der Philosophie eine spezifische Aufgabe, vielleicht sogar Verpflichtung zugeschrieben. In einigen deiner Texte gebrauchst du eine Formulierung, die in diesem Zusammenhang häufiger verwendet wird: „aus dem Kampf geborene Philosophie“. Wie würdest du diesen speziellen Hintergrund beschreiben? Wie hat er dein eigenes Philosophieverständnis und auch das Verständnis des Verhältnisses von Philosophie und Kampf beeinflusst?
Shelby: Der Philosoph Leonard Harris prägte den Ausdruck „aus dem Kampf geborene Philosophie“. Er war einer meiner großen Einflüsse damals, als ich Studienanfänger war und über die Traditionen afroamerikanischer Politik nachdachte – offenkundig gibt es davon mehr als eine – und darüber welche philosophischen Einsichten aus diesen Traditionen geborgen werden konnten. Bernard Boxill, Howard McGary, Bill Lawson und andere, die sich wirklich mit der Geschichte, dem afroamerikanischen politischen und kulturellen Leben auseinandersetzten und daraus Erkenntnisse zu Fragen der Politischen Philosophie gewannen, beeinflussten mich ebenfalls. Vor 26, 27 Jahren traf ich die Entscheidung, in der afroamerikanischen Tradition der politischen Philosophie zu arbeiten. Das hieß für mich, die Einsichten aus dieser Tradition aufzugreifen, aber auch über das Leben der Afroamerikaner:innen und dessen Herausforderungen nachzudenken. Teil dieser breiteren Tradition ist die Black Radical Tradition, die in ihren Überlegungen zur Politischen Ökonomie vom sozialistischen Denken beeinflusst ist (von Marx natürlich, aber auch über Marx hinaus). Zugleich versucht sie auch, die rassistische Herrschaft in der modernen Welt ernst zu nehmen und zu erkennen, wie sich beides zueinander verhält. In gewisser Weise gehöre ich dieser Tradition an. Ich habe meine Doktorarbeit über den Marxismus geschrieben und bin folglich sehr, sehr stark von dieser Tradition beeinflusst, aber auch von einer Tradition die über modernen Sklavenhandel und Kolonialismus nachdenkt sowie darüber, wie die Rassenidee in dieser Welt wirkte, sodass sich verschiedene Formen imperialistischer Herrschaft im Umkreis der Entstehung und Verbreitung des Kapitalismus ausbreiteten. Hinsichtlich dieser zweiten Tradition haben mich W.E.B. Du Bois und Richard Wright stark beeinflusst. Viele meiner Arbeiten beschäftigen sich mit der Verbindung von Rasse und Klasse und versuchen zu erklären, wie man sie einerseits aus gesellschaftstheoretischer Perspektive (das sind nur Erläuterungsfragen), aber auch aus normativer Perspektive (ethische Fragestellungen) und aus der Perspektive politischen Widerstands verstehen kann.
Jaeggi: Die Verbindung von Rasse und Klasse bringt uns zum Thema „Solidarität“, zu dem du gearbeitet hast. Besonders interessant war die von dir vertretene Idee einer nicht essentialistischen Idee von Solidarität.
Shelby: Meine Motivation, über Solidarität zu schreiben, ergab sich aus einem philosophischen Einspruch Kwame Anthony Appiahs in den 80ern. Er schrieb eine Reihe von Aufsätzen und Büchern, von denen sich einige mit W.E.B. Du Bois beschäftigten und in denen er die Rassenidee oder überhaupt die Idee, es könne Rassen geben, angriff. Insbesondere interessierte ihn, ob die Verwendung der Rassenidee im panafrikanischen Denken (ihr wisst, dass sein Vater ein Vertreter des Panafrikanismus war und er mit diesen Ideen aufwuchs) die richtige Weise war, die Grundlagen panafrikanischer Solidarität aufzufassen. Appiah wandte sich gegen diese Ideen. Einige Leute antworteten darauf, indem sie die Rassenidee verteidigten, sie neu fassten, neu über sie nachdachten und argumentierten, dass sie für das Verständnis von Identität, Solidarität und antirassistischen sozialen Bewegungen wichtig sei. Andere wiederum wollten die Idee fallen lassen. Mir schien es, dass ein Großteil der Aufregung um die Zurückweisung seiner Ansichten nicht von metaphysischen oder biologischen Fragen entfacht wurde, sondern weil die Menschen spürten, dass es sich um eine Herausforderung auf zwei Ebenen handelte, die ihnen wirklich wichtig waren. Das war zum einen die Legitimität, mit der sie sich selbst als Menschen mit Schwarzer Identität verstanden, und zum anderen die Legitimität der Solidarität unter Menschen afrikanischer Abstammung oder Schwarzer Menschen. In meinem Buch We Who Are Dark habe ich zu zeigen versucht, dass – anders als die Leute dachten – die Rassenidee weder dafür wesentlich war zu verstehen, was es bedeutet, eine eigene legitime Schwarze Identität zu haben, noch als Fundament Schwarzer Solidarität benötigt wurde. Was man wirklich verstehen muss, was wirklich die Grundlage für diese Art von Solidarität bildet und in ihr wirksam ist, das sind die Bedingungen, denen man gemeinsam unterliegt. Für Identität und Solidarität sind ein Verständnis erforderlich, was es bedeutet, in einer rassistischen Ordnung in der untergeordneten Position zu sein, die wechselseitige Identifikation, die sich aus der Anerkennung dieser geteilten Position ergibt, und die moralische Verpflichtung, gemeinsam daran zu arbeiten, dass diese Umstände überwunden werden. Die wirklich wichtigen Fragen sind: Was ist das Wesen dieser Art von Unterordnung? (Nicht: Was ist das Wesen von „Rasse“?) Und: Was ist das Wesen dieser Art von Gesellschaft, die dich in eine solche untergeordnete Stellung bringt? Denkt an die ethische Verpflichtung, die damit einhergeht, sich nicht nur gemeinsam für eine Sache einzusetzen, sondern sich selbst als Kollektiv zu sehen, das gegen eine gesellschaftliche Ordnung kämpft, die dich unten hält. Sobald man das verstanden hat, sieht man, dass viele der Debatten über die Rassenidee dafür nicht wirklich von Bedeutung sind. Meine Vorstellung davon, was es heißt, eine Identität zu haben, ist vom Pluralismus geprägt. Vielleicht rührt das von Mills Einfluss her. Ich bin bezüglich Identitäten ein Liberaler. Dass man Teil eines Kollektivs ist und sich im kollektiven Widerstand engagiert, hängt nicht davon ab, dass wir uns alle einig sind, was es bedeutet eine Schwarze Identität zu haben. Es gibt jede Menge Wege, in der Welt Schwarz zu sein, jede Menge Möglichkeiten, eine Idee vom menschlichen Gedeihen zu haben, die es einschließen, in der Welt Schwarz zu sein. Aber diese Meinungsverschiedenheiten müssen den kollektiven Widerstand gegen die Form von Unterordnung, die wir alle erfahren, nicht untergraben.
Celikates: Du hast deine eigene Position als „afro-analytischen Marxismus“ bezeichnet. Das ist ein faszinierender Begriff, der hervorhebt, dass die marxistischen Anregungen und die Anregungen der Black Radical Tradition zusammen gedacht werden müssen. Könntest du noch etwas dazu sagen, wie du diese Kategorie verstehst? Wie ermöglicht sie es dir, auf Du Bois, Richard Wright und andere zurückzugreifen, die ein starkes Interesse am Marxismus hatten und sich in starker Weise zu ihm bekannten, und das dann mit deinen eigenen theoretischen Interessen für Fragen nach Solidarität, Gerechtigkeit und Freiheit zu verbinden?
Shelby: Afro-analytischer Marxismus ist eine Bezeichnung, mit der ich experimentiere. Ich kenne nicht viele Leute, die das als Bezeichnung für das, was sie tun, akzeptieren würden. Charles Mills hätte vielleicht eine Variante davon akzeptiert. Vielleicht sind wir die beiden einzigen Menschen, die unter dieser Bezeichnung gearbeitet haben. Afro-analytischer Marxismus heißt zunächst einmal, über Marx auf eine bestimmte Weise nachgedacht zu haben. Ich wurde sehr von G. A. Cohens Arbeiten zur Politischen Philosophie beeinflusst und von der Art, in der er sich dem Marxismus als Tradition gesellschaftlichen und politischen Denkens näherte. Cohen legte das Gewicht weniger auf dem methodologischen, esoterischen Zugang. Für ihn war der Marxismus im Kern keine spezifische Methode, sondern bestand aus konkreten theoretischen Behauptungen, die über unsere Welt aufgestellt wurden. Sobald man es so sieht – was nicht alle Angehörigen dieser Tradition tun – ergibt sich ein Projekt, die zentralen Behauptungen, die in der Theorie aufgestellt wurden, deutlicher herauszuarbeiten und einzuschätzen. Es geht darum, ohne falsche Rücksicht zu bestimmen, was es wert ist, aufrecht erhalten zu werden, und was besser radikal neu gefasst, wenn nicht aussortiert und fallen gelassen werden sollte.
Es gibt einiges, von dem Menschen, die sich selbst als Marxist:innen sehen, glauben, es sei für den Marxismus wesentlich. Mit einigen von denen komme ich wahrscheinlich nicht überein, weil ich vieles von dem, was für Marx am wichtigsten war, nicht glaube.
Ich stamme aus einer Tradition, für die die kritische Reflexion zentraler Ideen wirklich wichtig ist. Eine solche Tradition ist lebendig, und ich glaube, dass es auch Marx so gesehen hat. Es geht nicht darum, dass man sich zu einer Reihe festgelegter Glaubensprinzipien bekennen muss, sondern vielmehr darum, in einer bestimmten Weise über Freiheit, Kapitalismus und kollektive Kämpfe nachzudenken.
Derselbe Ansatz leitet mich bezüglich der Tradition afroamerikanischer Politik oder der Black Radical Tradition. Für mich ist das eine sehr lebendige Tradition. Aber ich behandle nichts davon als heilig. Es gibt jede Menge Dinge, die Leute aus dieser Tradition glauben, denen ich skeptisch gegenüberstehe. Manche davon sind wahrscheinlich auf eine Weise mehrdeutig oder vage, sodass – meiner Meinung nach – ein:e Philosoph:in bei ihrer Aufklärung hilfreich sein kann, und ich habe versucht, das in meiner Arbeit über Solidarität, von der wir gerade sprachen, zu machen. Die Vereinigung, wenn ihr so wollt, der genannten Traditionen wird auch durch mein Denken als analytisch geprägter Philosoph angetrieben, der sich weder von den Hauptströmungen der Sozialwissenschaften entfremdet fühlt, noch von der sorgfältigen analytischen Reflexion und der Aufmerksamkeit für logische Folgerichtigkeit etc., die den analytischen Zugang zur Philosophie kennzeichnen. Sich dazu zu bekennen, steht nicht im Gegensatz zu politischen Verpflichtungen, sondern ist ein Teil von diesen. Es wendet sich sowohl an eine lebendige marxistische und eine lebendige Tradition Schwarzer Politik, die sowohl die Themen Klasse und Kapitalismus als auch die Themen rassistischer Herrschaft und Ausbeutung ernst nimmt.
Jaeggi: Damit sind wir schon bei der Ethik der Unterdrückten. Was hast du in den Benjamin Lectures vor?
Shelby: Wenn ich an die Tradition afroamerikanischer Politik denke, dann sehe ich ihre wichtigsten Vertreter:innen nicht mit den klassischen Fragen der Politischen Philosophie befasst, bei denen es zumeist darum geht: „Was ist eine wahrhaft gerechte Gesellschaft?“ oder „Was verstehen wir unter der Legitimität des Staates?“ Ich glaube vielmehr, dass ihre Beiträge sich vor allem um moralische Fragen drehen, darum, wie man unter den Bedingungen der Unterdrückung lebt und welche Werte und Prinzipien einen dabei leiten sollten, wenn man Formen der Unterdrückung durchlebt und ihnen Widerstand entgegensetzt. Der Großteil dieser Tradition, einschließlich Du Bois, reflektiert, was es heißt, in einem Umfeld zu leben (und das ist der Grund, warum der Fokus auf Schwarze Menschen wirklich hilfreich ist), in dem sich eine wahrhaft antirassistische Demokratie nicht abzeichnet. Eine wahrhaft antirassistisch Demokratie ist wahrscheinlich nichts, was wir in absehbarer Zukunft zu Gesicht bekommen werden. Natürlich lohnt es sich, sie anzustreben und zu versuchen, sie Wirklichkeit werden zu lassen, aber sie ist nichts, von dessen Verwirklichung man ausgeht. Man kann davon ausgehen, dass es einige Zeit, vermutlich Generationen, dauern wird, sie durchzusetzen.
Aber bis dahin musst du dein Leben leben. Und es gibt verschiedene Weisen, ein Leben zu leben. Du kannst es auf eine Weise leben, bei der du einfach zynisch bist, dich darauf konzentrierst, dich durchzuschlagen, so gut es irgendwie in einer unterdrückten Existenz geht und dabei Bruchstücke von Sinn zu finden. Oder du siehst dich in einem wirklichen Gegensatz zur gesellschaftlichen Ordnung. Ist letzteres der Fall, so bist du ethisch verpflichtet etwas gegen die Unterdrückung zu tun, während du zugleich versuchst, darüber nachzudenken, was es unter diesen Bedingungen heißt, ein Leben in Würde zu führen, und versuchst, darin ein Gefühl für moralische Ziele zu finden. Viel von dem, was die Tradition afroamerikanischer Politik beizutragen hat, dreht sich um diese Art von Fragen. Und ich möchte über diese Fragen nachdenken. Mich interessiert es insbesondere, über die Rolle von intellektueller und künstlerischer Freiheit in einem solchen Leben nachzudenken. Wie denkt man darüber nach, was es unter diesen Bedingungen heißt – unter denen Leute das vielleicht mit Skepsis betrachten oder es vielleicht in politischer Hinsicht für schädlich halten – ein Mensch zu sein, der frei ist im Denken und seiner ästhetischen Meinung Ausdruck verleiht. Ich möchte über diese kostbaren Freiheiten nachdenken, die manche von uns ausleben, viele aber auch nicht. Welche Rolle spielen sie in der politischen Ethik unterdrückter Menschen? Ich beziehe mich auf Richard Wright, der darüber lange in vielen seiner Werke reflektiert hat, sowohl in literarischen als auch in seinen zahlreichen Sachtexten und autobiographischen Reflexionen. Er rang mit diesen Fragen als jemand, der anfänglich Mitglied der kommunistischen Partei war, die Partei lautstark verließ, aber sich selbst weiterhin der Sache ausgesprochen verbunden sah, die die Partei für ihn repräsentierte. Sein Parteiaustritt drehte sich darum, dass in der Partei Individualität, Rede- und Gedankenfreiheit nicht respektiert wurden. Das machte es für ihn unerträglich, ein Mitglied dieser politischen Gruppe zu sein.
Ich beziehe mich auf Wright, seine Reflexionen, aber natürlich auch meine eigenen, um mit diesen Fragen nach der Freiheit im breiteren Spektrum einer politischen Ethik der Unterdrückten zu ringen. Und das führt mich zu einigen Fragen, über die ich in der Vergangenheit nachgedacht habe. Eine davon hat mit Solidarität zu tun: Solidarität erfordert offenkundig eine Verpflichtung auf Ziele und Werte von denen, die kollektiv zusammenarbeiten, um verbesserte Bedingungen zu schaffen. Dieses Gefühl der Loyalität ist dafür notwendig. Wirksamkeit kann aber manchmal in Widerspruch zu jenen Formen individueller Freiheit geraten, die für manche Menschen kostbar und wichtig sind. Mir ist wichtig, im Kontext einer Ethik kollektiver Solidarität über die Rolle von Individualität und individueller Freiheit nachzudenken.
Mich interessiert auch die Frage der Selbstachtung. Formen des Widerstands, die Menschen wählen, werden mitunter nicht richtig verstanden, wenn sie als Versuche interpretiert werden, die Bedingungen zu verbessern oder zu verändern. Stattdessen sind einige dieser Formen des Widerstands eher symbolisch oder kommunikativ. Sie sollen Widerspruch anzeigen, Trotz und die Weigerung, einfach mitzumachen, selbst wenn das nicht unbedingt dazu führt, dass es besser wird oder eine gerechtere Gesellschaft entsteht. Es ist aber eine Form der ethischen und politischen Selbstbestätigung, die auszuüben, für unterdrückte Menschen wichtig ist.
Es bleiben dabei noch einige Fragen offen: Wie passt das zu einem guten Leben? Was kann man wirklich von Leuten verlangen? Oder: Was kann man vernünftigerweise von anderen erwarten, wenn man sagt, dies ist für einen unterdrückten Menschen eine würdelose Lebensweise? Solche Forderungen oder Erwartungen ergeben sich aus der Besorgnis, dass die Lebensweise einiger, möglicherweise die ganze Gruppe schädigt, weil sie entweder ein Stereotyp bekräftigt, ein Gefühl der Ohnmacht angesichts von Ungerechtigkeit verbreitet oder repressive Antworten provoziert. All das hat das Potenzial für das Kollektiv sehr schädlich zu sein. Aber die Frage bleibt, in welchem Maße ein Individuum trotzdem zu Recht und mit einer Rechtfertigung zu solchen Formen des Widerstands greifen kann, weil es um die Aufrechterhaltung des Gefühls der Selbstachtung geht. Solche Fragen will ich erwägen, hauptsächlich indem ich die Lage der Afroamerikaner:innen unter den Jim-Crow-Gesetzen als Fallstudie heranziehe.
Celikates: Ließe sich also sagen, dass die Ethik der Unterdrückten drei Dimensionen hat? Erstens, die Dimension die du in deinem Buch Dark Ghettos untersucht hast, bei der es um die Pflichten geht, denen die Unterdrückten unterliegen, wobei sich die der Unterdrückten von denen der Mitglieder des politischen Gemeinwesens unterscheiden, die nicht oder nicht in der gleichen Weise unterdrückt sind. Zweitens, ethische Fragen im Sinne von, wie verhalten sich die Unterdrückten zu den anderen Mitbürger:innen und dem Staat, unter dessen Autorität sie stehen. Drittens, die jetzt von Dir aufgeworfene und diskutierte Frage des Selbstverhältnisses, die Frage von Würde und Selbstachtung. Und das schließt dann die Frage der Solidarität mit ein, das Verhältnis zu den anderen in der unterdrückten Gemeinschaft, welche Normen diese Verhältnisse beherrschen. Worauf du hingewiesen hast, ist, dass all diese Dimension miteinander in Konflikt geraten können. Ist das so zu verstehen? Und zweite Frage: Du hast die Jim-Crow-Gesetze erwähnt, welche Kontexte gibt es deiner Meinung nach in der Gegenwart, in denen diese Fragen drängend sind?
Shelby: Ja, das hast du zutreffend beschrieben. Aber lass mich noch betonen, dass die Leute einen Großteil des Schwarzen politischen Denkens als eine Folge von Strategiedebatten interpretieren und mir widerstrebt diese Art, darüber nachzudenken. Die Rede von Strategien setzt ein gemeinsames Ziel voraus, und ich glaube, das führt tendenziell dazu, dass die Uneinigkeit über grundlegende Ziele verdeckt wird. Die Leute sind uneins darüber, was eine gute und gerechte Gesellschaft ist, was wir am Ende des Tages zu erreichen versuchen. Das Reden über Strategien führt auch tendenziell dazu, dass einige der ethischen Fragen danach, wie wir leben sollten, verdrängt werden. Auf welche Weise ist es moralisch vertretbar, sich für Wandel einzusetzen oder Widerstand gegen die Unterdrückung zu leisten? Ich bin in erster Linie an diesen Fragen interessiert.
Ich habe, wie gesagt, viel Zeit damit verbracht, mich mit der Verbindung von Rasse und Klasse zu beschäftigen. Die Armut der Ghettos ist ein Fall, über den ich viel nachgedacht habe. Sie ist im Großen und Ganzen eine Folge der Jim-Crow-Gesetze und hat mir der Migration von Menschen aus dem südlichen Teil der USA während der Jim-Crow-Zeit in den sich industrialisierenden Norden, Mittleren Westen und Westen des Landes zu tun. Als die Menschen, die den ländlichen Süden verließen, in die Städte dieser Landesteile kamen, begegnete ihnen letzten Endes eine neue Form der Unterdrückung, die man als „Ghettoisierung“ bezeichnet. Mich interessiert die Erfahrung von Leuten, die in und um die Metropolen und an Orten mit Rassentrennung leben, wo sie besonders benachteiligt werden. Ihre Benachteiligungen sind vielfältig, nicht nur hinsichtlich Arbeitsmöglichkeiten und Bildung, sondern auch bezüglich Reichtum, politischer Macht usw. Sie sind an diesen Orten ausgesprochen marginalisiert und haben nur wenig Macht, die Dinge zu verändern. Es handelt sich um eine Untergruppe der gesamten Schwarzen Bevölkerung. In mehrerlei Hinsicht sind sie eine Minderheit, aber eine entscheidende Minderheit. Es gibt eine Reihe von Spannungen, die im Wesentlichen entstehen, weil diese ausgesprochen marginalisierte Untergruppe und Leute wie ich existieren, die in der Gruppe eine Elite bilden, die gesellschaftlichen Regeln beherrschen und viel mehr Macht, Einfluss und Status in der Gesellschaft haben.
Einige Fragen rund um die politische Ethik der Unterdrückten entstehen im Inneren der ausgesprochen marginalisierten Untergruppe. Wie sollen sie leben? Sie fühlen sich, als seien sie mit einem Polizeistaat konfrontiert und finden sich auf eine Art und Weise Inhaftierungen und ökonomischer Marginalisierung ausgesetzt, die sie überwältigt. In der Wirtschaft gibt es für sie kaum Arbeit, zumindest kaum Arbeit, die ihnen ihre Würde lässt. Aber was soll dann ihre Einstellung zu den USA als Ganzes sein? Und welche Haltung sollen sie zu jenen Mitgliedern der umfassenderen Gruppe der Schwarzen Amerikaner:innen einnehmen, die privilegierter sind? Diese Themen interessieren mich sehr.
Und aus der entgegengesetzten Perspektive: Wie sollen Leute wie ich, Leute, die Teil der Professional-Managerial Class* sind, sich zu denen verhalten, denen es innerhalb der Gruppe nicht nur angesichts von materiellen Lebensaussichten, sondern auch angesichts von Status und anderen Dingen, am schlechtesten geht? Hinsichtlich der gegenwärtigen Themen der politischen Ethik der Unterdrückten sind das die Fragen, über die ich für gewöhnlich nachdenke.
Gleichwohl ist das Nachdenken über die Zeit der Jim-Crow-Gesetze hilfreich. Das ist ein etwas klarer umrissenes Beispiel. Es ist historisch. Es endet in den 60ern. Das hilft dabei, einige Fragen zu klären, weil es ein Verständnis davon gibt, worum es sich handelte: ein Regime rassistischer Herrschaft, das fast 100 Jahre überdauerte. Man kann Fragen einer politischen Ethik der Unterdrückten vor diesem Hintergrund überdenken. In mancher Hinsicht ist das ein wenig leichter als Themen aufzugreifen, die sich gegenwärtig aufdrängen.
Jaeggi: Ich bin auch neugierig, wie du die Romane und Gedanken von Richard Wright ins Spiel bringen willst. Wie wirst du die philosophischen, analytischen Werkzeuge und Begriffe mit Interpretationen von Literatur in Verbindung setzen?
Shelby: Darüber habe ich eine ganze Weile nachgedacht. Wenn man aus der Tradition Schwarzer Politik Einsichten gewinnen will, muss man sich einer ganzen Bandbreite von Genres und sogar noch darüber hinausgehenden Ausdrucksformen öffnen. Das kann sogar bildende Künste einschließen, obwohl ich mich nicht darauf beziehen werde. Du Bois war ein Akademiker und kann natürlich in einem akademischen Stil schreiben, aber viele der einflussreichsten Autor:innen in dieser Tradition schreiben keine Abhandlungen oder Essays auf die traditionelle akademische Art. Mitunter schreiben sie nicht einmal Flugblätter oder ähnliches. Sie drücken sich stattdessen oft in literarischen Formen aus. Manchmal geschieht das in Form einer Autobiographie oder von Memoiren, manchmal lyrisch, manchmal belletristisch. Ich glaube, es ist sehr schwer diese Tradition ernst zu nehmen, wenn man nicht bereit ist, sich mit diesen anderen Formen des Schreibens auseinanderzusetzen. Ich glaube nicht, dass mich das von der allgemeineren westlichen Tradition der Philosophie trennt. Viele Philosoph:innen haben dasselbe getan. Sie schrieben, indem sie Literatur oder Autobiographisches und orakelhaftere oder poetischere Ausdrucksformen verwanden. Ich glaube nicht, dass das ungewöhnlich ist. Es ist nur typisch für die Ausdrucksweisen der Tradition Schwarzer Politik, dass sie diese anderen Formen annehmen. Das macht es erforderlich, einige moralphilosophische Lehren aus ihnen zu ziehen, die nicht immer in einer streng aufeinanderfolgenden Argumentation vorgebracht werden.
Das Schöne an Wright ist, dass er sich immer grundlegend für Philosophie interessierte und sehr am Existenzialismus interessiert war. Er war mit Sartre und Beauvoir gut befreundet, ein Auswanderer, der nach Frankreich zog und dort Teil einer größeren Gemeinschaft war, die von Camus und anderen beeinflusst wurde. Er lässt sich am besten aus dieser Tradition des Existenzialismus und der Phänomenologie verstehen, was nicht gerade meine Traditionen sind. Er schrieb sogar einen existenzialistischen Roman, Der Mörder und die Schuldigen (im Original: The Outsider), um seine philosophischen Ideen belletristisch auszuarbeiten. Ich interessiere mich auch für die Rolle von Autobiographien und Memoiren, die meines Erachtens in der Schwarzen Tradition seit den schriftlichen Berichten der Versklavten (Slave narratives) entscheidend waren.
Frederick Douglass schrieb drei Autobiographien. Die moralischen Lehren ergeben sich aus den Geschichten, die er über sein eigenes Leben erzählt. Er schrieb auch Essays und war ein großartiger Redner, aber die Art eine moralische Vision zu äußern, eine Zeitdiagnose, ein Gefühl, was die ethischen Verpflichtungen füreinander sind, oder was es heißt, in Würde zu leben, all das wird in der Form von Memoiren, von Autobiographie zum Ausdruck gebracht.
Viele der zentralen Figuren der Black Radical Tradition schrieben solche Bücher. Deshalb hatte ich das Gefühl, das ernst nehmen zu müssen. Ich werde in den Benjamin Lectures das Buch Black Boy, Wrights Autobiographie, oder genauer einen Ausschnitt aus ihrem zweiten Teil, der Schwarzer Hunger (im Original: American Hunger) genannt wurde, nehmen und philosophisch lesen. Wright ist am bekanntesten für Black Boy und seinen ersten Roman Sohn dieses Landes (im Original: Native Son). Aber ich finde einige seiner anderen Arbeiten, wie seine ersten Kurzgeschichten Onkel Toms Kinder (im Original: Uncle Tom’s Children) ebenso bedeutend. Über die habe ich schon geschrieben und will mich mit ihnen erneut beschäftigen. Sie sind wichtig für die Art von Fragen, die ich stellen will. Das letzte Buch, Der schwarze Traum (im Original: The Long Dream), kehrt zu vielen der Fragen zurück, die in Onkel Toms Kinder gestellt wurden. Und mir scheint Wright verändert seine Position in einigen Punkten. Das ist für manches, was ich über die politische Ethik der Unterdrückten gedacht habe, eine Herausforderung. Zum Beispiel scheinen manche der scharfen ethischen Erfordernisse, denen die Unterdrückten in Onkel Toms Kindern genügen müssen, in Der schwarze Traum weniger anspruchsvoll gefasst zu sein. Und es interessiert mich, warum das so ist. Es wird einige Auslegungen belletristischer und autobiographischer Arbeiten geben, aber auch von Sachtexten. Wright schrieb auch viel über die antikolonialen Bewegungen in Afrika und über die afrikanisch-asiatische Solidarität als Antwort auf den Imperialismus. Das ist für Philosoph:innen als Sachtext lesbar und soll auch eine Rolle spielen.
Celikates: Großartig. Ich glaube, es ist schon deutlich geworden wie reichhaltig das Thema und Wright als Autor sind. Vielen Dank, Tommie, dass du dir für uns Zeit genommen hast.
Shelby: Es war mir ein Vergnügen. Ich freue mich wirklich auf die Benjamin Lectures.
Übersetzung: Christian Schmidt
* Der Ausdruck Professional-Managerial Class wurde 1977 von Barbara und John Ehrenreich folgendermaßen in die Diskussion eingeführt und definiert: „Per Definition besteht die Professional-Managerial Class aus Arbeitern, die Lohn empfangen, geistigen Tätigkeiten nachgehen und keine Produktionsmittel besitzen. Ihre hauptsächliche Funktion innerhalb der gesellschaftlichen Arbeitsteilung lässt sich grob als Reproduktion der kapitalistischen Kultur und der kapitalistischen Klassenverhältnisse beschreiben. (Wir meinen mit „Kultur“ natürlich nicht bloß die „Hoch“kultur oder die Künste im Allgemeinen. Unter der Kultur einer gesellschaftlichen Gruppe verstehen wir das gesamte Repertoire der Lösungen und Antworten für alltägliche Probleme und Situationen.)“ (Ehrenreich & Ehrenreich, „The Professional-Managerial Class“, in Radical America, 11 (1977) 2, S. 7–31, hier S. 13. (Anm. d. Ü.)